Es war ein irritierender Auftritt, den die ehemalige rheinland-pfälzische Umweltministerin und jetzige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel am 11. März vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Juli 2021 hinlegte. Vieles wirkte einstudiert, erstaunlich präzisen Aussagen standen zahlreiche Erinnerungslücken gegenüber. Die nicht nur zu Beginn betonte, sondern regelmäßig in die Vernehmung eingestreute Betroffenheit erschien ein wenig zu plakativ, um authentisch zu sein. Vor allem aber versuchte sie immer wieder, Zuständigkeit und Verantwortung auf andere abzuschieben.
Ideologie wichtiger als korrekte Warnung
Symptomatisch für den Umgang der von Spiegel geführten Behörde mit der Katastrophe war die Pressearbeit am 14. Juli. Eine einzige Pressemitteilung seitens des Umweltministeriums gab es an diesem Mittwoch, der mehr als 100 Menschen das Leben kostete. Sie wurde auf der Basis von Informationen eines Lageberichts von 11 Uhr erstellt und erst um 16.43 Uhr versandt. Doch in dieser Zeit hatte sich vieles verändert: Die Warnstufe war von 2 auf 4 angehoben worden, die Pegel waren extrem angestiegen, für Altenahr lag eine Prognose von 5,19 m und damit weit über dem bisherigen Jahrhunderthochwasser (3,71 m) vor. Campingplätze standen unter Wasser, die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr bat den Landrat um das Ausrufen des Katastrophenfalls, die Ministerin selbst sprach im Rahmen einer Landtagssitzung von einer „sehr ernsten Lage“ in der Eifel. Nichts von dieser Dramatik fand sich in der Pressemitteilung, die von der Ministerin für gut befunden wurde. Es drohe kein Extremhochwasser. Das Land sei gut auf solche Ereignisse gut vorbereitet, die aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten würden. Nur auf einer Änderung bestand die Grüne: Aus Campingplatzbetreibern müssten BetreiberIinnen werden – damit alles seine ideologische Richtigkeit hat.
Realistische Lageeinschätzung kam viel zu spät
Aber es waren nicht nur Nachlässigkeit und ideologische Borniertheit, die zu solchen Fehlleistungen mit katastrophalen Folgen führten. Es waren schlichtweg Desinteresse, Unkenntnis und Inkompetenz, die das gesamte Verhalten der Ministerin im Rahmen der Flut prägten. Kaum ein Bemühen, sich proaktiv Kenntnisse über die Zuspitzung der Lage zu verschaffen. Stattdessen blindes Vertrauen in ihren Staatssekretär Dr. Manz, der ganz offensichtlich selbst überfordert war und sich mit Dienst nach Vorschrift zufrieden gab. Nicht einmal die erwähnte Schreckens-Prognose von 5,19 m war Spiegel zeitnah bekannt. Die Frage, ob ihr bewusst gewesen sei, was eine solche Prognose für das Ahrtal bedeute, verneinte sie ausdrücklich. Gleichzeitig sah sie keine Notwendigkeit, sich darüber von ihren Fachleuten informieren zu lassen. Das zu bewerten, sei Sache der Verantwortlichen vor Ort. Überhaupt blieb Spiegel eine eindeutige Auskunft darüber schuldig, ab wann ihr denn bewusst gewesen sei, dass es zu einem Extremhochwasser kommen würde, das alles bisher Dagewesene deutlich übersteigt. Manches spricht dafür, dass ihr das erst im Laufe der Nacht oder am nächsten Morgen klar geworden ist. Aber da war bereits alles zu spät und 134 Menschen waren tot.
Surfen im Internet statt Regierungs-Krisenstab
Zu dieser Unkenntnis passt die seltsame Passivität der für den Hochwasserschutz zuständigen Ministerin im Laufe des 14. Juli. Sie habe sich nicht eingemischt, weil alles reibungslos gelaufen sei. Am Randes des Landtagsplenums, so Spiegel, habe es Gespräche mit Manz und dem Innenstaatssekretär gegeben. Anschließend sei sie mit einem Parteifreund essen gegangen und habe sich dann in ihr Mainzer Appartement zurückgezogen. Von dort aus gab es dann – angeblich bis zwei Uhr nachts – nur noch drei Telefonate: ein kurzes mit Manz, in dem dieser über einen Horror-Bericht der Altenahrer VG-Bürgermeisterin Weigand berichtete, wonach Autos vorbeischwimmen würden und in die oberen Stockwerke ihrer Häuser geflüchtete Menschen nicht gerettet werden könnten. Ein weiteres, kurzes mit ihrem Ehemann und eines mit dem oben erwähnten Parteifreund. Ansonsten habe sie im Internet verfolgt, was im Katastrophengebiet passierte.
Ein bizarres Bild: Während im Ahrtal Menschen um ihr Leben kämpfen, sitzt die Umweltministerin zuhause am Computer und informiert sich über die Lage. Kein einziges dienstliches Telefonat mehr nach 22.30 Uhr, kein Kontakt mit ihrem Ministerium oder mit dem für den Katastrophenschutz zuständigen Innenminister, kein Gespräch mit der Ministerpräsidentin, keine Warnungen über den SWR, keine Beratungen im Krisenstab, keine Entscheidungen, was zu tun sei.
Sorge um das eigene Image vorrangig
Erst am nächsten Morgen wird die Ministerin aktiv. Sie habe sich früh informieren lassen und darum gekümmert, dass jetzt das Notwendige getan werde, erklärt sie dem Ausschuss. Aber auch hier gibt es Ungereimtheiten. Denn belegen lässt sich eine solche Kommunikation vor 8 Uhr in den Akten nicht. Zudem fällt auf, dass eine um 5.58 Uhr an sie gesandte Messenger-Nachricht von Frau Dreyer bis 7.20 Uhr ungelesen ist und schließlich um 7.30 Uhr beantwortet wird. Lässt man seine Ministerpräsidenten in einer solchen Situation so lange warten, weil andere Gespräche Vorrang haben? Glaubwürdig ist das nicht. Unzweifelhaft dagegen ist der skandalöse Chat-Verlauf, den der damalige Pressesprecher des Umweltministeriums Dietmar Brück um 7.53 Uhr einleitete. Die Besorgnis, Spiegel könne in dem erwarteten Blame-Game den Kürzeren gegenüber Innenminister Lewentz ziehen, führt hier zu dem Vorschlag, ein Wording zu entwickeln, wonach sie rechtzeitig im Kabinett gewarnt habe und ohne die Maßnahmen des Ministeriums alles noch viel schlimmer geworden wäre. Die Ministerin widerspricht nicht, stimmt vielmehr ausdrücklich zu.
Im Ausschuss versucht sie dann sehr emotional, den Chat zu relativieren. Diese Kommunikation betreffe nur zwei von tausenden Seiten und sei nur eine kurzfristige Idee gewesen, die sie gleich wieder verworfen habe. Für sie habe es nur eine Priorität gegeben: den Menschen zu helfen und sie zu unterstützen. Dumm nur, dass das in keiner Weise der Realität entspricht. Eine Warnung der Ministerin im Kabinett gab es definitiv nicht. Wenn überhaupt, dann wurde sie von anderen gewarnt. Es gab auch keine tausende, ja nicht einmal hunderte Seiten von Kommunikation mit der Ministerin. Zudem wurde im Ministerium noch mehrere Tage nach der Flut laut darüber nachgedacht, wie ein geeignetes Wording aussehen könne. Vor allem aber zeigt die Faktenlage ganz klar, dass zumindest das Ergebnis nicht so war, wie man es der Öffentlichkeit wahrheitswidrig verkaufen wollte. Denn hätte es die von Frau Spiegel behaupteten reibungslosen Abläufe und effektiven Warnungen tatsächlich gegeben, dann hätten nicht so viele Menschen sterben müssen. Dann wäre es nicht dazu gekommen, dass man am Unterlauf der Ahr völlig ahnungslos über die drohende Katastrophe war, während am Oberlauf die Menschen bereits um ihr Leben kämpften.
Mangelnde Kompetenz führt zu Totalversagen
Dafür trägt Frau Spiegel die politische Verantwortung. Sie hat nahezu alles, was sie als Ministerin hätte tun können und müssen, an andere, insbesondere an ihren Staatssekretär delegiert. Und sie hat sich nicht einmal vergewissert, ob das Notwendige tatsächlich umgesetzt worden ist und ob die ergriffenen Maßnahmen auch wirken. Das kann man nur als ein totales Versagen im Amt bezeichnen.
Darüber hinaus zeigt sich hier einmal mehr ein grundsätzliches Problem: Minister, denen jegliche fachliche Kompetenz für ihr Ressort fehlt, stoßen gerade in solchen Situationen an ihre Grenzen. Wer als für die Hochwasserwarnung Verantwortlicher keine Ahnung davon hat, was über 5 Meter Pegelstand im Ahrtal bedeuten, der kann auch nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Ja, er kann nicht einmal beurteilen, ob das, was andere entscheiden, richtig ist oder falsch. Deshalb ist es fatal, wenn Leitungspositionen immer häufiger an Personen vergeben werden, die vor allem die richtige Haltung und besondere Verdienste in ihrer Partei vorweisen können, die aber weder das notwendige Fachwissen haben noch eine Allgemeinbildung besitzen, die es braucht, um sich in eine neue Aufgabe einzuarbeiten.
Moralischer Anspruch allein genügt nicht
Bezeichnend ist hier die Reaktion der Grünen-Vorsitzenden Lang und Nouripour zur Causa Spiegel: Die Ministerin habe mit ihren Aussagen gezeigt, dass sie sich „mit Verantwortungsbewusstsein und Empathie für die Menschen in diesem Land einsetzt.“ Genau das hat sie vielleicht gewollt, aber sie hat es nicht getan, weil sie dazu nicht in der Lage war. Denn moralischer Anspruch allein ist zu wenig. Man muss ihm auch gerecht werden können. Wer das nicht kann, ist als Ministerin fehl am Platz. In Mainz genauso wie in Berlin.
Michael Frisch ist Fraktionsvorsitzender und Obmann der AfD im Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ im rheinland-pfälzischen Landtag